Das Grüne Band Deutschlands

Vom Vogtland über den Brocken zur Ostsee
Gummi reibt über rauen Beton, quetscht sich in einen Spalt oder holpert über ein Loch. Einzig der Takt ändert sich. Eine Platte misst drei Meter an Länge, hat je nach Baujahr 21 oder 28 Löcher. Im flachen Gelände verlaufen diese längs, im steilen quer zur Fahrtrichtung. Rund eine Million dieser Lochplatten befestigten den Kolonnenweg entlang der innerdeutschen Grenze. Vom ex Dreiländereck BRD, DDR und CSSR bis zum Priwall an der Ostsee exakt 1378 Kilometer weit ohne Rücksicht auf das Umfeld. Der 1142 Meter hohe Brocken im Harz wurde am Gipfel in zwei Berge geteilt, die Elbe in zwei Flüsse zerschnitten. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sind Mauern, Zäune und Stacheldraht abgebaut, Minen und Selbstschussanlagen entfernt worden. Allein der Kolonnenweg blieb und mit ihm eine Schneise im Land.
Unvermittelt verstummt das rhythmische Arbeitsgeräusch der Reifen. Die Platte ist weg. Im Rücken verschmilzt ein geschwungenes Band mit der Hügelsilhouette am Horizont. Der Beton am Boden ist gebrochen. Seine schiefen Ränder sind verfranst. Gräser verbergen die Löcher. In einem gedeihen Erdbeeren, aus dem anderen ragt ein Tannenbaum. Das ist kein gewöhnlicher Radweg. Der Blick nach vorne gerichtet offenbart nur Gebüsch. 100 Meter weiter plätschert ein Bach ohne Furt. Jenseits erschweren kreuz und quer liegende Stämme ein Vorwärtskommen. Manchmal versperrt ein Zaun den Weg, endet die Fahrt in einem Acker oder Gewerbegebiet.
Auf weiten Strecken aber gibt es den Kolonnenweg noch, beheimatet das grüne Band eine beeindruckende Vielfalt an Pflanzen und Tieren. Zahlreiche Gedenkstätten und Grenzmuseen erinnern an die Zeit der deutschen Teilung. Der Kolonnenweg führt nur selten durch Ortschaften. Wer ihn nicht verlassen möchte, sollte ausreichend an Proviant und Wasser mitführen. Das Pedalieren über die Betonplatten gleicht oft einer Schlaglochorgie, erfordert Kraft, Konzentration und Nerven. 

Es ist eine “Trophy”, weil es kein Rennen sein soll; es ist eine “Trophy”, weil es keine Radeltour werden wird … 
Bei der Grenzsteintrophy (GST) von Gunnar Fehlau spielt die Zeit bei den meisten Teilnehmer keine große Rolle. Im Vordergrund steht das Erlebnis >>grünes Band<<. Es geht ums Ankommen. Per Kodex als Selbstversorgerfahrt allein und ohne Plan. Bikepacking in Germany. Alles, was man braucht, hat man am Rad oder besorgt es sich unterwegs. Es ist ein kleiner Haufen von Freaks und Individualisten, die sich jedes Jahr aufmachen, die ehemalige innerdeutsche Grenze abzufahren. Start, GPS-Track und Ziel sind die einzigen Vorgaben bei dieser Rallye durch Deutschland. Die Route variiert jedes Jahr ein wenig. Naturkräfte fordern ihren Tribut. Wegverbesserungen werden eingepflegt. Wenige benötigen für die rund 1250 Kilometer vom Grenzpunkt der Bundesländer Bayern und Sachsen mit dem Staat Tschechien bis zum Gedenkstein >>Nie wieder geteilt<< an der Ostsee sechs Tage, die meisten mehr als zehn, einige schaffen den Brocken im Harz nicht. Wie schon damals sorgt der Streifen auch heute noch für Schicksale. Besessen von der Idee kommen eine Handvoll im nächsten Jahr wieder.


Entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze vom Dreiländereck bei Hof auf dem Kolonnenweg nach Priwall bei Travemünde an der Ostsee
1200 Kilometer und 19 000 Höhenmeter auf fetten Reifen mit Zelt und Schlafsack 

Start am Dreiländereck Sachsen, Bayern, Böhmen ehemals DDR, BRD, CS

Unterwegs ins Vogtland

Blick auf die Saale (Grenze Bayern-Thüringen) nahe Schloss Hirschberg

In Blankenstein am Rennsteig

Eine der zahlreichen steilen Rampen des Kolonnenwegs
Kampfeinheit nach Sonneberg: Der Aufstieg zum Generalsblick

Auf der Lochplatte nach dem Bayernturm

An der Gedenkstätte Eisfeld